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Biographie Jan Koetsier
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Jan Koetsier, geboren am 14. August 1911 in
Amsterdam, erhielt seine erste musikalische Förderung durch
seine Mutter Jeanne Koetsier, einer Konzert- und Oratoriensängerin.
Um sich insbesondere dem Repertoire des deutschen Lieds, etwa
Werken von Franz Schubert, Johannes Brahms und Hugo Wolf widmen
zu können, wählte sie, als sie ein Stipendium angeboten
bekam, Berlin als Studienort. Die Familie Koetsier zog aus diesem
Grund im Jahr 1913 von Amsterdam nach Berlin und blieb dort bis
zum Beginn des Zweiten Weltkrieges.
Durch die Arbeit seiner Mutter gewann Jan Koetsier schon früh
Einblicke in zahlreiche Kompositionen für Gesang, u. a. auch
beim gemeinsamen Musizieren: Bereits mit zehn Jahren, so schilderte
er einmal, waren seine Kenntnisse im Klavierspiel so weit fortgeschritten,
dass er sie bei Liedern, wie etwa Schuberts »Gretchen am
Spinnrade«, op. 2, begleiten konnte.
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Jan Koetsier als Kind |
Koetsiers Vater, Jan Koetsier-Muller,
war Lehrer und in Berlin u. a. als Sprecherzieher für Schauspieler
tätig, zunächst an der 1905 von Max Reinhardt gegründeten
Schauspielschule des Deutschen Theaters, später an der Staatlichen
Schauspielschule von Leopold Jessner. Daneben erteilte er privaten
Sprechunterricht; Schauspieler wie Gustav Fröhlich, Sybille
Schmitz, Fritz Kortner und Martin Held zählten dabei zu seinen
Schülern.
Während des Ersten Weltkrieges – seine
Mutter war mittlerweile an der Oper Leipzig engagiert worden –
lebte Jan Koetsier aufgrund der beschwerlichen Versorgungslage
in der Großstadt zeitweilig bei seinen Verwandten in einem
kleinen Ort in Holland. Hier war es vermutlich, wo er erstmals
in näheren Kontakt mit der für sein eigenes kompositorisches
Schaffen später so bedeutsamen Musik für Blechbläser
kam:
»Vielleicht begann dies alles in meiner
Kindheit, ich liebte es, als Zehnjähriger der Dorfmusik bei
ihrer Probe hinter der Tür ihres Lokals zuzuhören. Die
gedämpften Klänge dieser Blechblasinstrumente riefen
meine ersten musikalischen Gefühle für diese Instrumente
hervor.« (1)
Seinen bald gefassten Entschluss, Musik zu studieren,
verwirklichte Koetsier nach Abschluss seiner Schulzeit mit der
Mittleren Reife. Dass er sich einmal hauptsächlich dem Dirigieren
und Komponieren widmen würde, war damals allerdings noch
nicht absehbar. Sein Lehrer Richard Rössler bereitete ihn
zunächst im Fach Klavier auf die Aufnahmeprüfung an
der Hochschule für Musik in Berlin vor. Mit 16 Jahren wurde
er als zu dieser Zeit jüngster Student in die Klavierklasse
von Waldemar Lütschg aufgenommen: Mit einem Vortrag von Ludwig
van Beethovens Sonate für Klavier F-Dur, op. 10 Nr. 2, erregte
er damals die Aufmerksamkeit des Pianisten Artur Schnabel, der
zu dieser Zeit an der Spitze der Prüfungskommission stand.
Schnabel war für Koetsier fortan eine Art Mentor, dessen
Auffassungen über Musik den jungen Studenten insbesondere
hinsichtlich des Beethovenschen Œuvres beeinflussten. Darüber
hinaus verdankte er dem Pianisten die Gelegenheit, als Klavierbegleiter
den Gesangsunterricht der Altistin Therese Behr-Schnabel, der
Ehefrau Schnabels, unterstützen zu können. Vermittelt
durch Schnabel schloss er außerdem Freundschaft mit einem
von dessen Schülern, dem amerikanischen Pianisten Leonard
Shure. Dieser hatte damals zur gleichen Zeit die Aufnahmeprüfung
an der Berliner Hochschule für Musik bestanden und unterstützte
ihn, so schilderte Koetsier später, in seiner bald hervortretenden
Neigung zum Dirigierstudium. Shure brachte ihm u. a. auch Klavierwerke
Robert Schumanns nahe – nicht zuletzt, da Schallplatten
in dieser Zeit für Studenten kaum bezahlbar waren, bedeutete
dieser Einfluss seines Mitstudenten für Koetsier eine wichtige
Erweiterung seines Repertoires. Parallel dazu fing er an, erste
größere Werke zu schreiben, beispielsweise seine »Variationen
über ein Kinderlied«, op. 5, für ein Kammermusikensemble
der Hochschule. Zuvor hatte er bereits einige Lieder komponiert,
zunächst für einen befreundeten Bass-Bariton, die u.
a. im Freundeskreis des Ehepaars Schnabel zur Aufführung
kamen.
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Neben Shure lernte Koetsier in Berlin Persönlichkeiten,
wie u. a. den Pianisten Hans Priegnitz, die Komponisten Jan Meyerowitz
und Siegfried Borris sowie den Musikwissenschaftler Walter Cohrssen
kennen, zu denen er auch nach seiner Studienzeit eine Verbindung
aufrecht erhielt. Unterstützend und prägend für
seine weitere Laufbahn war für ihn insbesondere die Arbeit
mit Walther Gmeindl, der ihn in Partiturspiel und Musiktheorie
als Vorbereitung auf die Aufnahmeprüfung für die Dirigierklasse
unterrichtete – eine Zeit, an die er sich später stets
als sehr anregend für sein eigenes Schaffen erinnerte. Bereits
nach einem Jahr verließ Koetsier die Klavierklasse und widmete
sich ab April 1932 bei Julius Prüwer dem Dirigierstudium.
Prüwer, so berichtete Koetsier später, habe ihn als
Dirigent und Lehrer sehr gefördert, habe auch sein kompositorisches
Talent bald erkannt und ihn einmal mit den Worten: »Koetsier,
nehmen Sie jede freie Minute zum Komponieren!« (2) ermuntert.
Jan Koetsier in Berlin 1932 |
Neben Dirigieren, Klavier und Musiktheorie
gehörte zu seinem Studium auch das Partiturspiel, wobei er
von Alexander von Zemlinsky unterrichtet wurde; bei seinem damaligen
Mitstudenten Harald Genzmer lernte er außerdem Klarinettespielen.
Genzmer wiederum war zeitweilig ein Schüler Paul Hindemiths,
der in dieser Zeit als einer der wichtigsten Kompositionslehrer
an der Berliner Hochschule für Musik wirkte. Persönlich
lernte Koetsier Hindemith erst nach seiner Studienzeit kennen,
befasste sich jedoch damals intensiv mit dessen Œuvre. Zusammen
mit Siegfried Borris, der ebenfalls zum Schülerkreis Hindemiths
zählte, studierte er beispielsweise seine Kompositionen beim
vierhändigen Klavierspiel.
In Koetsiers Studienzeit finden sich auch erste
Anhaltspunkte für die in seinem kompositorischen Schaffen
erkennbare Haltung, die aus der abendländischen Tradition
erwachsene Tonalität als Prinzip stets zugrunde zu legen,
diese als Basis und Bezugspunkt zu verwenden. Bereits damals bevorzugte
er die Ästhetik der Neoklassizisten, etwa Kompositionen Igor
Strawinskys oder Francis Poulencs, während er der Zwölftonmusik
Schönbergs eher reserviert gegenüberstand – eine
Haltung, an der er zeitlebens festhielt:
»Das erste große, moderne Erlebnis
auf der Schallplatte, die ich wohl hundertmal gespielt habe, war
der ›Feuervogel‹ von Strawinsky. Das war etwas, was
mir einging. Aber atonale Musik, die ich konstruiert fand, sagte
mir wenig.« (3)
Da sich mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten
die politische Lage in Berlin immer mehr zuspitzte und zahlreiche
Lehrer, vor allem diejenigen mit jüdischer Herkunft, die
Hochschule für Musik verlassen mussten – darunter auch
Julius Prüwer und Alexander von Zemlinsky –, nutzte
Jan Koetsier ein Angebot aus Lübeck, am dortigen Stadttheater
als Korrepetitor zu arbeiten, um sich Ende des Jahres 1933 von
Berlin vorläufig zu verabschieden. Von der Hochschule wurde
er beurlaubt und erhielt die Genehmigung, dort im Juli 1934 als
Ersatz für seine Abschlussprüfung ein Konzert zu dirigieren.
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In Lübeck war er als Holländer jedoch
kein lange gern gesehener Gast; »sehr restriktiv«
(4) sei man dort damals gegenüber Ausländern gewesen,
begründete Koetsier seinen Entschluss, nach nur einer Konzertsaison
wieder nach Berlin zurückzukehren. Dort lebte er nun zunächst
(bis 1936/37) von Engagements bei verschiedenen Tournee-Theatern,
so genannten »Wanderbühnen«, wie etwa die »Deutsche
Musikbühne« und die »Deutsche Landesbühne«:
»Ich bin von Ort zu Ort gezogen mit dem
ganzen Ensemble im Omnibus und habe u. a. 50 mal hintereinander
die ›Entführung‹ dirigiert. Das war eine sehr
gute Schule.« (5)
Während Koetsier bei dieser Arbeit sein
Repertoire an Bühnenwerken erheblich vergrößerte,
konnte er im Anschluss daran erste Erfahrungen mit dem Rundfunk
sammeln: Beim Kurzwellensender Berlin erhielt er die Gelegenheit,
ab 1936/37 als freiberuflicher Dirigent Übertragungen von
eigens bearbeiteter Volksmusik, Volksliedern und Liedern anderer
Nationen zu leiten.
Jan Koetsier am Stadttheater Lübeck 1933-34 während
seines ersten Theaterjahres als Kapellmeister
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Auf diese Weise war er hier nicht
nur als Dirigent, sondern auch als Pianist und vor allem als Komponist
beschäftigt: Für den von Rudolf Lamy geleiteten Kammerchor
und das Orchester des Senders, dirigiert von Mathis Richter-Reichhelm,
schrieb er zahlreiche Arrangements, z. B. von südamerikanischen,
afrikanischen und nordamerikanischen Liedern. Nicht alle dieser
Bearbeitungen für den Sender stammten allerdings von ihm
selbst. Er habe zeitweilig, berichtete Koetsier, dem Komponisten
Siegfried Borris einen Freundschaftsdienst erwiesen, da diesem
von den Nationalsozialisten aufgrund seiner halb jüdischen
Herkunft ein Arbeitsverbot erteilt worden war: »Wir teilten
uns die Aufträge, er schrieb unter meinem Namen und konnte
so etwas Geld verdienen.« (6) 1936 fand beim Berliner Kurzwellensender
die Uraufführung des ersten von Koetsier komponierten Orchesterstücks,
der »Barock-Suite«, op. 10, unter Leitung von Mathis
Richter-Reichhelm statt – ein Werk, mit der der Komponist
ein Jahr später beim »Concertgebouworkest« in
Amsterdam debütieren und auf diese Weise sein Heimatland
besuchen konnte.
Im Jahr 1940, nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs,
gab Koetsier seine Tätigkeit am Rundfunk aufgrund der politischen
Situation auf. Da die Nationalsozialisten jedoch mittlerweile
in Holland einmarschiert waren, war es ihm nicht möglich,
dorthin, wie mittlerweile geplant, zurückkehren. Einen Ausweg
fand er schließlich in einer neuen Aufgabe: Die damals hoch
angesehene Solotänzerin an der Berliner Staatsoper, Ilse
Meudtner, benötigte zu dieser Zeit einen Pianisten für
ihre Tournee. Jan Koetsier entschloss sich, mit der Tänzerin
zusammenzuarbeiten und begleitete ihre Aufführungen über
ein Jahr lang (1940/41) am Klavier, bereiste mit ihr per Eisenbahn
Orte in ganz Deutschland sowie einigen Nachbarländern. Diese
Tätigkeit eröffnete ihm nicht zuletzt deshalb neue Wege,
weil er dadurch auch in sein noch von deutschen Truppen besetztes
Heimatland zurückkehren konnte, und es ihm gelang, dort neue
Kontakte zu knüpfen. Beim Radio Hilversum erhielt er daraufhin
die Gelegenheit, sich neben seinem Auftritt mit der Tänzerin
auch als Solist in einem Klavierkonzert von Mozart zu präsentieren,
begleitet vom dortigen Rundfunk-Orchester. Außerdem dirigierte
er an diesem Abend eines seiner eigenen Werke, die »Variationen
über ein Kinderlied«, op. 5. Die überaus positive
Resonanz, die dieses Konzert auslöste, hatte für Koetsier
ein Stellenangebot bei dem Sender zur Folge. Dort wurde gerade
ein großes Rundfunkorchester gegründet und Jan Koetsier
hätte als dessen Chefdirigent anfangen können –
ein Angebot, das er zunächst aufgrund seines Abkommens mit
der Tänzerin nicht annehmen konnte. Nach Ende der vereinbarten
zwei Monate, in denen er mit Ilse Meudtner in der Berliner Scala
auftrat, durfte er nach Holland zurückkehren, lehnte aber
ein Engagement bei dem im Hilversum neu gegründeten großen
Rundfunkorchester dennoch ab: Um nicht allzu sehr ins Blickfeld
der Öffentlichkeit zu geraten, zog Koetsier zunächst
eine Arbeit als Pianist vor.
Im Dezember 1941 dirigierte Koetsier anlässlich
des 150. Todestages von Wolfgang Amadeus Mozart dessen Singspiel
»Bastien und Bastienne« in Den Haag – eine Aufführung,
die für ihn und die deutsch-niederländische Kulturgemeinde
den Anstoß zur Gründung einer neuen Kammeroper bildete.
Die Arbeit mit diesem Ensemble bedeutete für Koetsier erneute
Reisetätigkeit: Ein halbes Jahr leitete er Konzerte in zahlreichen
Orten Hollands und sammelte dabei weitere Erfahrungen mit bühnenmusikalischem
Repertoire:
»Wir zogen dann kreuz und quer durch Holland
– wie seinerzeit mit der Wanderbühne in Deutschland
– und spielten ›Entführung‹, ›Doktor
und Apotheker‹ und ›Abu Hassan‹.« (7) |
Einen wichtigen Markstein in der Laufbahn Koetsiers
stellte seine Tätigkeit als Zweiter Dirigent beim »Concertgebouworkest«
in Amsterdam dar, die er von 1942 bis 1948 übernahm. Chef
des Orchesters war zu dieser Zeit Willem Mengelberg, Erster Dirigent
Eduard van Beinum. Wichtige künstlerische Anregungen erhielt
er hier in den ersten Jahren vor allem durch die Zusammenarbeit
mit Willem Mengelberg und durch dessen Art der Orchestererziehung.
Seiner bereits damals nicht unumstrittenen Interpretation, Werke,
wie etwa Johann Sebastian Bachs »Matthäuspassion«,
in sehr großer Orchester- und Chorbesetzung aufzuführen,
stand Koetsier positiv gegenüber – ein Beispiel dafür,
dass für ihn stets die musikalische Wirkung Vorrang gegenüber
allzu strikter Werktreue besaß.
Jan Koetsier mit Prof. Willem Mengelberg 1944
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Willem Mengelberg ist jedoch nicht
nur als Bach- und Beethoven-Interpret bekannt geworden, sondern
vor allem durch die von ihm ins Leben gerufene Mahler-Tradition
in Holland; dazu gehörte auch die Leitung eines Mahler-Festivals
1920. Da er aber auch nach der Machtergreifung Adolf Hitlers noch
öfters Angebote aus Deutschland annahm, erhielt er nach 1945
in Holland ein sechsjähriges Auftrittsverbot. Infolge dieser
Umstände wurden für die Leitung des »Concertgebouworkest«
verstärkt Gastdirigenten engagiert, so etwa Otto Klemperer,
Bruno Walter, Erich Kleiber, Pierre Monteux und Leopold Stokowski,
was für Koetsier wertvolle Erfahrungen mit sich brachte.
Auch mit Paul Hindemith arbeitete er auf diese Weise zusammen,
studierte beispielsweise dessen Werke mit dem Orchester ein, so
dass Hindemith selbst nur eine kurze Probe vor den jeweiligen
Auftritten benötigte.
Nicht nur in Hinblick auf die Vervollkommnung
seiner dirigentischen Fähigkeiten, auch für sein kompositorisches
Schaffen erhielt er durch die Arbeit mit dem »Concertgebouworkest«
wichtige Anregungen. Inspiriert durch dieses Orchester schrieb
er z. B. seine »Musik für vierchöriges Orchester«,
op. 28, einem Vorschlag Eduard van Beinums folgend. Die Anstellung
bei dem renommierten Klangkörper war allerdings insbesondere
in den ersten Nachkriegsjahren für Jan Koetsier nicht nur
wegen des Berufsverbots Mengelbergs überschattet von den
vorangegangenen politischen Ereignissen. Die Tatsache, dass Koetsier
jahrelang in Deutschland gearbeitet hatte, brachte auch ihn bei
seinen holländischen Landsleuten in Schwierigkeiten; als
angeblicher Kollaborateur der Nationalsozialisten bekam er nach
dem Krieg zeitweilig ebenfalls Berufsverbot auferlegt. Erst als
er – gerichtlich verfügt – nach etwa einem Jahr
wieder dirigieren durfte, konnte er seine Tätigkeit mit diesem
Orchester fortsetzen.
Nach 1948 – eine Zeit, in der er die Trennung
von seiner ersten Frau zu überwinden hatte – wechselte
Koetsier nochmals innerhalb seines Heimatlandes die Stellung und
ging als Dirigent des »Residentie Orkest« und als
Dirigierlehrer am Königlichen Konservatorium nach Den Haag. |
1950 schließlich holte ihn Eugen Jochum als Ersten Dirigenten
des ein Jahr zuvor neu gegründeten Orchesters des Bayerischen
Rundfunks nach München. Persönlich kennen gelernt hatte
er Jochum jedoch schon einige Jahre zuvor. Damals wurde für
das Amsterdamer »Concertgebouworkest« ein deutscher,
nicht den Nationalsozialisten nahe stehender Gastdirigent gesucht
und auf Koetsiers Empfehlung hin im Jahr 1941 Eugen Jochum engagiert.
Jan Koetsier mit I. Strawinsky, Einstudierung von "Oedipus
Rex" am 12.08.1952 beim Bayerischen Rundfunk
Foto:© Hans Grimm
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Dieser studierte, dem Rat des damaligen Direktors des Orchesters
folgend, für sein dortiges Debüt u. a. Koetsiers »Symphonische
Musik«, op. 19, ein und setzte dieses Werk deshalb kurz
zuvor in Hamburg aufs Programm, brachte es dort im November 1941
mit dem »Philharmonischen Staatsorchester« zur Aufführung.
Dadurch ergab sich ein engerer Kontakt zwischen beiden Dirigenten
und Koetsier erklärte einmal: »Ich darf mich als seinen
[Jochums] Schüler bezeichnen«. (8)
Die Notwendigkeit, beim Orchester des Bayerischen
Rundfunks in München neben dem Chefdirigenten noch weitere
Kapellmeister anzustellen, ergab sich aus der besonderen Situation
in der Nachkriegszeit. Um das Archiv mit Tonträgern für
den täglichen Sendebetrieb zu füllen, benötigte
der Bayerische Rundfunk neben Mitschnitten von öffentlichen
Konzerten vor allem Studioproduktionen der funkeigenen Klangkörper.
Aus diesem Grund wurden bereits 1948 der in Frankfurt geborene
Rudolf Alberth – er widmete sich beim Bayerischen Rundfunk
insbesondere der zeitgenössischen Musik – und zwei
Jahre später Jan Koetsier engagiert, so dass neben dem Chefdirigenten
nun zwei weitere Kräfte für die verschiedenen Tätigkeitsbereiche
des Orchesters zur Verfügung standen.
Die Aufgabe, für den Sendebetrieb des Bayerischen
Rundfunks ein möglichst umfangreiches und breit gefächertes
Spektrum an Aufnahmen herzustellen, bedeutete für Koetsier
eine Gelegenheit, mit zahlreichen namhaften Solisten – darunter
beispielsweise die Sopranistinnen Clara Ebers, Käthe Nentwig
und Annelies Kupper sowie Lorenz Fehenberger und Fritz Wunderlich
(Tenor), Ferdinand Frantz (Bariton), Benno Kusche (Bass-Bariton)
und viele Instrumentalsolisten (etwa der Cellist Ludwig Hoelscher,
der Bratschist Georg Schmid und der Pianist George Bolet) –
zusammenzuarbeiten und neben dem »Symphonieorchester des
Bayerischen Rundfunks« regelmäßig das »Münchner
Rundfunkorchester« und den »Chor des Bayerischen Rundfunks«
dirigieren zu können. Darüber hinaus leitete er Produktionen,
die mit anderen Orchestern realisiert wurden, darunter vorrangig
die »Münchner Philharmoniker« und die »Bamberger
Symphoniker«. Das Ergebnis dieser 16 Jahre währenden
Tätigkeit sind über 700 unter der Leitung Koetsiers
entstandene Einspielungen, die heute im Schallarchiv des Bayerischen
Rundfunks zur Verfügung stehen.
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Neben seiner Tätigkeit im Aufnahmestudio
dirigierte Koetsier immer wieder öffentliche Konzerte des
»Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks«, etwa
Abonnementkonzerte, die er teilweise stellvertretend für
die jeweiligen Chefdirigenten Eugen Jochum bzw. ab 1961 Rafael
Kubelik oder aushilfsweise anstelle erkrankter Gastdirigenten
übernahm. Auch bei Aufführungen, die im Rahmen der »musica
viva«-Reihe des Bayerischen Rundfunks veranstaltet wurden,
stand Koetsier öfters am Pult des »Symphonieorchesters
des Bayerischen Rundfunks«.
Neben der Arbeit beim Bayerischen Rundfunk erhielt
Koetsier, dessen zweite Frau im April 1963 gestorben war, ab Juli
1963 eine weitere Aufgabe: Gotthold Ephraim Lessing, der damals
an der Münchner Hochschule für Musik Dirigieren unterrichtete,
hatte die Möglichkeit, für ein Jahr nach Ankara zu gehen
und bat Koetsier, ihn während dieser Zeit auf seiner Position
in München zu vertreten.
Jan Koetsier, I. Strawinsky und Eugen Jochum
beim BR 1957
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Nicht zuletzt, da der damalige
Präsident der Hochschule, Karl Höller, dieses Anliegen
befürwortete und ihn für diese Stellung zu gewinnen
versuchte, nahm Koetsier das Angebot an. Eine Absprache zwischen
Karl Höller und dem zu dieser Zeit amtierenden Intendanten
des Bayerischen Rundfunks, Christian Wallenreiter ermöglichte
es dem Dirigenten, beide Tätigkeiten zeitweilig parallel
auszuüben. Nachdem jedoch Gotthold Ephraim Lessing seine
Arbeit in Ankara ein weiteres und schließlich noch ein drittes
Jahr verlängerte, erhielt Koetsier eine Festanstellung an
der Hochschule für Musik. Er entschied, sich nun vorrangig
der Lehrtätigkeit zu widmen und verließ 1965 den Bayerischen
Rundfunk. Ein Gastvertrag sicherte ihm dabei während der
nächsten elf Jahre eine regelmäßige Tätigkeit
am Rundfunk.
Als Professor für Dirigieren und Leiter
des Hochschulorchesters blieb er bis zu seiner Pensionierung im
Jahr 1976 an der Münchner Hochschule für Musik. In dieser
Position gelang es Koetsier, in den damals gültigen Lehrplan
einige Neuerungen einzuführen, so etwa in der bis dahin üblichen
Ausbildung für Dirigenten, die eine Arbeit mit Orchester
in der Regel erst bei der Abschlussprüfung vorsah. In Abstimmung
mit der Hochschule richtete er jeweils vier bis sechs Vortragsabende
pro Jahr ein, bei denen seine Schüler das Hochschulorchester
leiten durften. Auch an den großen Orchesterkonzerten, die
dreimal jährlich stattfanden, waren von nun an Studenten
der Dirigierklasse beteiligt.
Die Idee, an der Münchner Hochschule für
Musik und Theater einen Blechbläser-Wettbewerb ins Leben zu rufen,
entstand u. a. im Zusammenhang mit Koetsiers eigener kompositorischer
Erfahrung. Die Arbeit mit Blechbläser-Ensembles, wie beispielsweise
dem »Philip Jones Brass Ensemble« oder dem »Slokar
Quartet«, hatte ihm gezeigt, dass die Blechbläser-Kammermusik
insbesondere in Deutschland noch keinen angemessenen Platz im allgemeinen
Konzertbetrieb einnahm. Ein Wettbewerb, so der Gedanke Koetsiers, sollte
u. a. helfen, das Niveau der Blechbläser-Ensembles zu verbessern,
und dazu dienen, auch die deutschen Gruppierungen international konkurrenzfähig
zu machen. Inzwischen ist der »Internationale Jan Koetsier Wettbewerb«,
der 1999 erstmals stattfand, längst zu einem anerkannten Prüfstein
für erfolgreiche Blechbläsergruppierungen geworden.
Nach seinem Abschied von der Hochschule für Musik
und Theater München im Jahr 1976 zog sich Jan Koetsier in sein
Haus in der oberbayerischen Gemeinde Heldenstein, Landkreis Mühldorf
am Inn, zurück und widmete sich während der nächsten
30 Jahre vorrangig dem Komponieren. |
Sein umfangreiches Werkverzeichnis zeigt,
dass Kompositionen für kammermusikalisch besetzte Blech- und Holzbläser
eine dominante Rolle im Schaffen Koetsiers spielten. Seine Zusammenarbeit
mit Instrumentalsolisten und Ensembles hatte die Entstehung zahlreicher
Auftragswerke zur Folge. Für das »Philip Jones Brass Ensemble«
schrieb er beispielsweise seine »Brass Symphonie«, op. 80,
das »Gran Trio«, op. 112, für das »Trio Armin
Rosin«. Daneben gehörten die von Armin Rosin gegründete
»Brass Philharmonie«, das »Slokar Quartet«,
das »Rennquintett«, das »Leipziger Hornquartett«
und die »Münchner Blechbläsersolisten« sowie u.
a. zahlreiche Streichersolisten und Pianisten zu den Musikern, mit denen
Koetsier immer wieder zusammengearbeitet hat und aus deren Repertoire
viele seiner Werke längst nicht mehr wegzudenken sind.
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Die Tatsache, dass Koetsier sich bei
seiner Arbeit stets an musikpraktischen Gegebenheiten und Erfordernissen
orientierte, ist auch als primärer Grund für die Wahl seiner
Instrumentenkombinationen und -besetzungen anzusehen, etwa die Verbindung
von Horn und Harfe (Sonate, op. 94), 4 Tuben bzw. Posaunen (»Wolkenschatten«
op. 136, für Tubaquartett; »Die Bremer Stadtmusikanten«,
op. 138, für Posaunenquartett) oder Blechbläserquintett und
Harfe (»Introduktion und Variationen über das ›Vyšehrad‹-Thema
von Friedrich Smetana«, op. 71). Neben Kammermusik für Bläser
und Streicher unterschiedlichster Besetzung entstanden Solokonzerte
(z. B. das »Echo-Konzert« für 2 Piccolotrompeten und
Streichorchester, op. 124, oder das Konzert für Blechbläserquintett
und Orchester, op. 133) sowie zahlreiche Orchesterwerke, darunter Sinfonien
und Serenaden; dazu kommen Klavier- und Orgelmusik, einige Lieder, Chorwerke
sowie u. a. eine Oper (»Frans Hals«, op. 39). Viele dieser
Kompositionen haben längst Eingang in die Programmgestaltung von
Konzerten im In- und Ausland gefunden. Außer Koetsiers Kammermusik
sind insbesondere die Solokonzerte sowie die Orchesterwerke immer wieder
zu hören – herausragende Ereignisse waren beispielsweise
Aufführungen seines Konzerts für Trompete, Posaune und Orchester,
op. 17, durch Rafael Kubelik und das »Symphonieorchester des Bayerischen
Rundfunks«, und der 3. Sinfonie, die u. a. das »Philadelphia
Orchestra« seinem Publikum in Philadelphia und New York präsentierte.
Im Jahr 2002 beendete er seine kompositorische Tätigkeit
und übersiedelte mit seiner Frau Margarete ins Wohnstift Augustinum
in München. Dort starb Jan Koetsier am 28. April 2006.
(1) Jean-Pierre Mathez: »Jan Koetsier –
compositeur à la gloire des cuivres«, in: Brass Bulletin
72. Internationale Zeitschrift für Blechbläser, IV/1990, Bulle
1990, S. 83.
(2) Günther Weiß: »Gespräch mit Jan Koetsier«,
in: Henner Beermann (u. a.): Jan Koetsier, Tutzing 1988 (= Komponisten
in Bayern. Dokumente musikalischen Schaffens im 20. Jahrhundert, Bd.
19), S. 33.
(3) Ebd., S. 33/34.
(4) Ebd., S. 23.
(5) Ebd.
(6) Ebd., S. 24.
(7) Ebd, S. 27.
(8) Ebd., S. 30.
© Stephanie Mauder
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